Warum gesetzlicher Mindestlohn?

Warum Mindestlohn nicht nur als sozialpolitische Maßnahme gelten kann, sondern auch ökonomisch sinnvoll ist

von Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann, MdL

Vor der Landtagswahl habe ich auf Anfrage von www.wahlbotschafter.de zum Thema Mindestlohn folgendes gesagt:

„Ich bin für die Einführung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns, der Lohndumping verhindert, Existenz sichernd ist und höhere Branchenmindestlöhne nicht ausschließt. Es darf nicht sein, dass weit über eine Million Be-schäftigte (vor allem Frauen) ihren Lohn durch Sozialleistungen aufstocken müssen. Der Staat subventioniert so Unternehmen, die Niedriglöhne zahlen, obwohl ihre Gewinne steigen. Um den Druck auf die Löhne abzuschwächen, ist es notwendig, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, die Massenarbeitslosigkeit zu reduzieren, Hartz IV abzuschaffen und Leiharbeit einzuschränken, indem sie auf den ursprünglichen Sinn zurückgeführt wird. Dann gehen auch die Einnahmeausfälle bei Steuern und Sozialversicherungen in Folge prekärer Arbeit zurück und vor allem kann so die Binnennachfrage steigen.“

Das ist auch noch heute meine Position zu diesem Thema. Auch die SPD-Kandidatin Martina Gregor-Ness sprach sich für einen gesetzlichen Mindestlohn aus. Selbst der lokale FDP-Kandidat Steven Eulitz sagte: „Ein Mindestlohn ist richtig …“ Diese Auffassung kann allerdings kaum als typisch für die FDP gelten.

Worum geht es konkret und welche Probleme tun sich auf?


Guter Lohn für gute Arbeit 

Der Wert eines Menschen wie auch sein Selbstwertgefühl definiert sich wesentlich über die geleistete Arbeit, irriger Weise fast ausschließlich über Erwerbsarbeit. Und der Wert der Arbeit wird nicht unwesentlich über den Lohn definiert. Das ist nicht immer gerecht, aber so ist es in dieser Gesellschaft. Wer Verbesserungen will, muss deshalb dazu beitragen, dass bei guter und wichtiger Arbeit, der Lohn auch zum Leben reicht. Im Jahre 2007 arbeitete jeder vierte Beschäftigte in Deutschland für Niedriglöhne – 6,5 Millionen Menschen, 70 Prozent davon Frauen. Immer mehr Menschen werden so zu den so genannten Aufstockern, d.h. der Staat zahlt trotz Arbeitsplatz Hartz IV. Im Jahre 2009 wurden dafür immerhin 8,8 Milliarden Euro ausgegeben. De facto subventioniert der Staat Unternehmen, die schlecht zahlen. Das ist zurzeit notwendig, entspricht dem Sozialstaatsgebot und ist vielleicht auch gut gemeint, humanistischen Grundanforderungen entspricht dieses Vorgehen nicht.

Stabile Löhne, kein Lohndumping

Ein gesetzlicher Mindestlohn kann Lohndumping Grenzen setzen. Es kann auf Dauer nicht gut gehen, wenn Unternehmen meinen, sich gegenüber der Konkurrenz nur dadurch durchsetzen zu können, die Preise für ihre Produkte oder Dienstleistungen durch niedrige Löhne drücken zu müssen. Untersuchungen und Erfahrungen auch in unserer Region zeigen, dass stabile Löhne zu größerer Zufriedenheit mit der Arbeit, zu besseren Leistungen und zu einem besseren Betriebsklima führen. Stabile Einkommen in den Haushalten führen zu höheren Steuereinnahmen, die allen zu Gute kommen, zur Stärkung der solidarischen Sozialversicherung und zur Entlastung der Staatskasse.

Stärkung der Binnennachfrage

Wenn es so ist, dass die Wirtschaft in Deutschland zwar nach wie vor Spitze im Export ist, aber die Nachfrage im eigenen Land zu wünschen übrig lässt, dann muss es doch ein gesamtgesellschaftliches Interesse geben, die Binnennachfrage zu steigern. Wer mehr Geld in der Tasche hat, kann mehr ausgeben. Sichere Mindestlöhne könnten das garantieren. Wenn es stimmt, dass es den Kommunen und dem Land besser möglich wäre, für Kultur, Soziales, Gesundheit und Daseinsvorsorge überhaupt bei höheren Steuereinnahmen mehr auszugeben, dann spricht auch das für Mindestlöhne. Denn wer mehr Lohn hat, zahlt auch zum Nutzen für die Gemeinschaft mehr Steuern.

Stärkung der Gewerkschaften

Durch Massenarbeitslosigkeit und um sich greifende Leiharbeit wurden die Verhandlungspositionen der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften geschwächt. Sie wurden regelrecht erpressbar. Rückläufige Tarifbindung und die Förderung geringfügiger Beschäftigung durch die Politik haben diesen Trend noch verschärft. Der verkürzte Bezug von Arbeitslosengeld I und die unsittlichen Zumutbarkeitsregelungen bei Hartz IV zwingt Arbeitslose, fast jede Arbeit anzunehmen und Niedriglöhne zu akzeptieren. Starke Gewerkschaften aber sind der Garant für Wohlstand und einen fairen Umgang im Verhältnis von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. 

Tarifhoheit und Staat

Ein wesentliches Argument gegen den gesetzlichen Mindestlohn ist, dass es sich dabei um einen staatlichen Eingriff in die Tarifautonomie handeln würde. Das stimmt. Aber dieser staatliche Eingriff ist gerechtfertigt, weil die Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt wie beschrieben sehr ungleich ausgeprägt sind. Die Produktivität der Niedriglohnarbeiter ist oft viel höher als ihr Lohn. Eine solche Diskrepanz kann für eine Volkswirtschaft nicht gesund sein. Hier handelt es sich um ein Marktversagen, so dass es gerechtfertigt ist, wenn der Staat regulierend eingreift, um sozialmarktwirtschaftliche Normen wieder herzustellen. Ein Angriff auf die Marktwirtschaft sind Mindestlöhne also nicht. Im Gegenteil. 

Konkurrenz und Wettbewerb

Der gesetzliche Mindestlohn verhindert keineswegs Wettbewerb. Ausgeschlossen wird aber, dass im Konkurrenzkampf der gewinnt, der die Preise auf Kosten der Löhne drückt. Es werden also lediglich neue, faire und letztlich wirtschaftlich sinnvolle Spielregeln festgelegt. Das erkennen auch immer mehr Branchen. So wundert es nicht, dass die Gebäudereinigungsunternehmen zu den ersten gehörten, die sich für Mindestlöhne einsetzten. Nur so können sie im Wettbewerb innerhalb der Branche unanständige Lohndrückerei verhindern, die der Leistungsfähigkeit und dem Ruf der einzelnen Unternehmen wie der Branche insgesamt nur noch schaden. 

Der kleine Friseurladen

Wie aber soll es eine selbständige Friseurmeisterin schaffen, mindestens 10 Euro Stundenlohn für ihre Angestellten zu zahlen? Das geht in Tat nur, wenn eine schizophrene Logik verlassen wird. Denn wenn alle Handwerker und Dienstleiter so dächten, dann könnten ihre Angestellten sich ohnehin keinen Besuch im Friseurladen und die Friseurinnen sich keine Kosmetikerin leisten. Das würde die Schwarzarbeit fördern. Der Fehler ist, dass ein sehr enger und negativ besetzter Zusammenhang von Lohnhöhe und Beschäftigung konstruiert wird: Lohnsteigerungen sollen automatisch zu sinkender Beschäftigung führen. Internationale Vergleiche zeigen aber, dass das so nicht stimmt. Außerdem wird der volkswirtschaftliche Zusammenhang von steigenden Beschäftigungszahlen und steigender Kaufkraft mit der Folge erhöhter Nachfrage bei diesen Berechnungsmodellen nicht berücksichtigt.

Sichere Rente

Wer in seinem Berufsleben viel gearbeitet hat, muss auch wieder auf eine sichere Rente hoffen dürfen. Diese Hoffnung ist gegenwärtig nicht gegeben. Deshalb muss der gesetzliche Mindestlohn eingeführt werden, um die sichere Rente finanzieren zu können. Nur so kann die Rente wieder zum Zentrum der Alterssicherung werden.

Fachkräfte

In Wirtschaft, Forschung, im Dienstleistungsbereich, in Bildung, Gesundheitsbetreuung, Altenpflege, Seniorenbetreuung – eigentlich überall steigen die Anforderungen. Mit Niedriglohn werden die entsprechenden Fachkräfte nicht zu bekommen sein. Wenn einem durch möglichst geringe Lohnkosten gekennzeichneten Wettbewerb weiterhin Vorschub geleistet wird, denn werden wirtschaftlich schwache Regionen kaum eine Chance haben, gute Fachkräfte zu bekommen. 

Vorschlag der Partei DIE LINKE

DIE LINKE fordert einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn nach französischem Vorbild von 10 Euro pro Stunde. Dieser Mindestlohn soll Jahr für Jahr zumindest in dem Maße wachsen, wie die Lebenshaltungskosten steigen. Wenn in einer Branche der unterste Tariflohn über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt, soll dieser für allgemeinverbindlich erklärt werden. Dazu muss die Allgemeinverbindlichkeitserklärung auch ohne Zustimmung der Arbeitgeberverbände erleichtert werden. Weiterhin fordert die LINKE Kontrollmechanismen und Beratungsgremien, um den Übergang zum gesetzlichen Mindestlohn zu begleiten. Vergaberichtlinien, die den gesetzlichen Mindestlohn berücksichtigen sind eine weitere Forderung.