Von der IG3W zum Lausitz-Büro in Senftenberg

Im Februar 2005 fand in Senftenberg die Eröffnung des von Cathleen Bürgelt ehrenamtlich geleiteten Regionalbüros Lausitz der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg e.V. in den Räumen des Abgeordnetenbüros von Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann (MdL) statt. Dabei handelte es sich jedoch keineswegs um eine neue Initiative, sondern vielmehr um eine Form der Institutionalisierung langjähriger umfangreicher politischer Bildung in der südbrandenburgischen Kreisstadt.

Im Winter 1989/90 hatte sich hier die Interessengemeinschaft Dritter Weg (IG3W) gegründet, die sich als Wendeprodukt verstand. Im Gegensatz zu den damaligen Erneuerungsbestrebungen wollten ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter: „erstens (selbst)kritischer mit dem Vergangenen umgehen; zweitens uns ein tieferes Nachdenken und nach dieser Schlappe ein Verwirrtseindürfen leisten. Und schließlich sollten drittens sozialistische Alternativen in der Politik und marxistische Analyse und Kritik in der Theorie gegen dumpfe BILDer der Sieger wenigstens denkbar bleiben. Überhaupt war Programm, Theorie nicht als Schimpfwort zu gebrauchen. Später zeigte sich, dass gerade aus dem theorielastigen Dritten Weg heraus praktische Aktionen des direkten handfesten Einmischens in kommunale, gewerkschaftliche und kulturelle Belange hervorgingen.“, so Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann, der neben Norbert Scheier zu den Initiatoren zählte. Ökologisch, internationalistisch, antifaschistisch, feministisch und demokratisch war das Programm der IG3W immer. Gegen den Irrglauben, weil Talk-Show den meisten gefällt und Einschaltquoten bringt, müsste linke Bildungsarbeit ebenfalls so oder so ähnlich daherkommen, setzten sie die zusammenhängende kompetente Rede, Vorträge von 45 Minuten am Anfang einer jeden Veranstaltung. Massenveranstaltungen werden das nicht, wenn nicht gerade Christa Luft, Lothar Bisky, Ottokar Domma, Gregor Gysi oder der Sexualwissenschaftler Kurt Starke zu Gast waren. Getragen war dieses Engagement damals – wie heute – von der Hoffnung, dass in Zeiten der allgemeinen Verlotterung politischer wie theoretischer Debatten wieder Zuhören und Argumentieren gelernt werden könnte. Die IG3W trat Mitte 1995 dem Rosa-Luxemburg-Verein bei.

Mit der Zeit bildeten sich neben zahlreichen Veranstaltungen zur Geschichte, Bildung, Philosophie und dritter Welt ganze Veranstaltungsreihen heraus wie Religion und Gesellschaft (mit Theologen, Islamwissenschaftlern, Philosophen und Religionshistorikern), Zukunft der Arbeit (in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule und dem DGB mit Ökonomen, Politikern, Theologen und Gewerkschaftern) und Ökologie: Radikal und sofort oder Später und Rahmen der Möglichkeiten.

Gegenwärtig sind in diesem Zusammenhang vor allem die Veranstaltungen der Frauengruppe Lisa und der Philosophiekurs mit Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann zu nennen. Die Lisa-Frauen unter Leitung von Brigitte Rex laden ein- bis zweimal pro Monat donnerstags zu Veranstaltungen unterschiedlichster Art ins Lisa-Café ein. Die Breite reicht von Ausstellungseröffnungen über Lesungen und musikalische Beiträge bis hin zu Vorträgen zu aktuellen Themen wie den Herausforderungen des demographischen Wandels, der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum, dem Öffentlichen Nahverkehr, dem Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik oder zu Fragen des sozial-gerechten Strukturwandels in der vom Bergbau geprägten Lausitz.

Die Philosophischen Gespräche können auf eine siebzehnjährige Tradition zurückblicken. In all den Jahren haben sie mehrfach ihren Ort gewechselt: so gab es Vorträge in der Volkshochschule, im Friedrich-Engels-Gymnasium, bei der Volkssolidarität, im Bürgerhaus Wendische Kirche, im Theater NEUE BÜHNE und seit kurzem in den neuen Räumlichkeiten des Regionalbüros Lausitz. Der Philosophiekurs geht konzeptionell auf eine Idee von Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann zurück und ist in außerordentlichem Maße mit seinem Engagement verbunden. Dank seiner Einbindung in ein internationales Philosophieprogramm um die Befreiungsphilosoph/innen und –theolog/innen Raúl Fornet-Betancourt (Kuba, Aachen), Dina V. Picotti (Argentinien), Franz-Josef Hinkelammert (Costa Rica), Vincent Furtado (Indien) und Hyondok Choe (Korea) konnten bereits mehrfach renommierte Referent/innen für einen Vortrag in der vermeintlichen Provinz gewonnen werden. Die Wissenschaftler/innen fühlen sich einer Erneuerung der Philosophie, einer neuen philosophischen Anthropologie und deren Bezug zum gegenwärtigen Alltag verpflichtet. Die Senftenberger Reihe ist Bestandteil dieses internationalen Projekts, das eine Brücke darstellen will zwischen Spezialisten und interessierten Laien.

So war es nicht nur mutig, sondern auch konsequent, Senftenberg für die Durchführung des VI. Internationalen Kongresses für Interkulturelle Philosophie zu empfehlen. Das Regionalbüro Lausitz war im Mai 2005 gemeinsam mit dem Missionswissenschaftlichen Institut Missio Aachen und der Fachhochschule Lausitz Ausrichter dieser einwöchigen Tagung mit über 100 internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die sich unter dem Thema „Dominanz der Kulturen und Interkulturalität“ auch mit der regionalspezifischen Fragestellung des Verhältnisses der deutschen und sorbischen/wendischen Kultur beschäftigte.

Zum Teil in Kooperation mit der Schule für niedersorbische Sprache und Kultur Cottbus wurde gerade dieses Thema in den folgenden Jahre immer wieder aufgenommen und mehrere Vorträge zur sorbischen/wendischen Geschichte Senftenbergs durchgeführt.

Das Regionalbüro hat sich auch an den Aktionen Für Toleranz und Demokratie. Senftenberg gegen Nazis beteiligt, zur jährlich stattfindenden Interkulturellen Woche beigetragen und ist auch Mitgestalter der seit 2006 stattfindenden Aktion Senftenberg liest.

Zu den regelmäßigen Höhepunktveranstaltungen der Brandenburgischen Stiftung gehört EIN FEST!, das ursprünglich immer auf einen möglichst sommerlichen Freitag, den 13., gelegt wurde. Neben den „Gesprächen unter Bäumen“ gehört eine Theateraufführung genauso zum festen Programm wie Informationsstände, Ausstellungen, Bastelangebote und natürlich Kaffee und Kuchen durch die Frauengruppe Lisa und den Eine-Welt-Laden Kranich.

Als eine feste Größe gilt darüber hinaus das Senftenberger Kolloquium, das seit 2000 zumeist im Januar anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zur Erinnerung an die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und des Völkermordes durchgeführt wird und sich der Geschichte der Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Perspektive zu nähern versucht. Zunehmend stehen auch neue rechtsextreme Tendenzen im Blickpunkt. Ab und zu wird von der Zweiteilung in wissenschaftliche Vorträge und Beiträge mit aktuellem und/oder lokalem Bezug abgewichen:
Dank der Kooperation mit dem Filmmuseum Potsdam konnte dort zum VIII. Senftenberger Kolloquium der Vierteiler des DDR-Fernsehens „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ (DDR 1972, Regie: Kurt Jung-Alsen, nach dem autobiographischem Roman von Peter Edel) wiederaufgeführt werden. Im Anschluss fand dann ein Podiumsgespräch mit Schauspieler Gunter Schoß sowie den Historikern Florian Dierl (Haus der Wannsee-Konferenz) und Prof. Dr. Frank Stern (Institut für Zeitgeschichte, Uni Wien) statt, dessen Moderation die Filmwissenschaftlerin Elke Schieber übernommen hatte.

Auf dem VII. Senftenberger Kolloquium entstand die Idee, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die sich mit der Geschichte von den Senftenberger/innen beschäftigen sollte, die in der Zeit des Nationalsozialismus aus religiösen, politischen oder anderen Gründen verfolgt und getötet wurden. Schnell hatte sich auf Einladung von Eva Klein und des Landtagsabgeordneten Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann eine Gruppe interessierter Bürgerinnen und Bürgern zur Arbeitsgruppe „Stolpersteine zum Gedenken an die Senftenberger Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ zusammengefunden, die in akribischer Kleinarbeit Namen, Lebensdaten und Schicksale vor allem der bisher kaum beachteten jüdischen Opfer recherchiert hat. Am 10. Juli 2007 konnten unter Anwesenheit des Künstlers Gunter Demnig feierlich die ersten sechs Messingplatten als Stolpersteine in Senftenberg und Hörlitz (ehemals Senftenberg-West) verlegt werden, um damit ein Zeichen an den Orten zu setzen, wo Bürgerinnen und Bürger gewohnt haben, die zwischen 1933 und 1945 Opfer nationalsozialistisch motivierter Gewalt geworden sind – und um sie so wieder in Erinnerung zu bringen. Eine umfangreiche Präsentation der Rechercheergebnisse und deren Einbettung in die Geschichte jüdischen Lebens in der Niederlausitz erfolgte dann auf dem IX. Senftenberger Kolloquium im Jahr 2008. Für 2011 ist die Verlegung weiterer Stolpersteine geplant. Die Arbeitsgruppe ist als wissenschaftliches Projekt bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg e.V. angesiedelt und wird von der Evangelischen Kirchgemeinde, der Stadt Senftenberg, der Gemeinde Schipkau und vielen Senftenberger Bürgerinnen und Bürgern unterstützt.

Große Aufmerksamkeit schenkt das Büro in Senftenberg der Arbeit mit Jugendlichen. Dabei wird vor allem darauf geachtet, junge Menschen nicht nur als Objekt politischer Bildungsarbeit zu erreichen, sondern mit ihnen gemeinsam an Themen und Projekten zu arbeiten. Beispielhaft dafür sind die Theaterprojekte, die insbesondere in Zusammenarbeit mit Lehrern und Schülern des Friedrich-Engels-Gymnasiums und dem Dramaturgen Karl H. Gündel entstanden sind. Das erste Programm fand eindrucksvoll im Rahmen einer wissenschaftlichen Veranstaltung anlässlich des 50. Jahrestages des 17. Juni 1953 im Juli 2003 statt. Dem folgte die anspruchsvolle szenische Lesung „Einen Schmetterling hab ich hier nicht gesehen“ über Kinder in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, die sowohl in Senftenberg als auch in Cottbus dargeboten wurde. Brechts „Kaukasischer Kreidekreis“ hatte in Senftenberg seine Premiere und wurde dann mit Erfolg zur Jubiläumsveranstaltung zum 15. Gründungstag der Stiftung in Potsdam dargeboten. Das in Senftenberg im Juni 2007 uraufgeführte Wolfgang-Borchert-Theaterprojekt „Generation ohne Abschied“ bereicherte im Januar 2008 den Neujahrsempfang der Stiftung im Alten Rathaus in Potsdam.

Über die Jahre haben sich zahlreiche Kooperationen herausgebildet. Neben den bereits genannten verdienen für die letzte Zeit die Kunstscheune Pritzen, das piccolo-Theater Cottbus, die Umweltgruppe Cottbus und das FilmFestival Cottbus – Festival des Osteuropäischen Films eine besondere Erwähnung.
 
Im Frühsommer 2010 haben wir eine neue Reihe begonnen, die unter dem Titel „Machbares – Denkbares“ die Programmdebatte der LINKEN kritisch begleiten und in verschiedenen Diskussionsrunden (gesellschafts-)politische Anforderungen an eine sozial-gerechte, demokratische, emanzipierte, ökologische Gestaltung der Gesellschaft formulieren möchte.

Unter dem Titel "Verwalten, verzweifeln oder gestalten? Sachzwänge und Denkzwänge und die Arbeit am 'großen Versprechen'" wird diese Reihe seit Oktober 2011 fortgeführt.